Inhalt
- Ein globales Kohlenstoffbudget
- Die ungleiche Verursachung des Klimawandels
- Eine Wirtschaft des Mangels, eine des Kohlenstoffs
- Was tun?
Ein globales Kohlenstoffbudget
800 Gigatonnen CO2: Nach dem Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ist das die Menge, die ab 2018 noch ausgestoßen werden darf, damit die Erwärmung deutlich unter 2 Grad stehen bleibt.1 800 Gigatonnen CO2: Eine solche Menge klingt nach nach einem großen noch verfügbaren CO2-Budget. Jedoch wäre dieses Budget bei konstant bleibenden CO2-Emissionen schon Ende der 2030er Jahre erschöpft.
Die Erwärmung deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau zu halten, ist die Kernforderung des Pariser Klimaabkommens. Zugleich sollen nach dem Abkommen Anstrengungen unternommen werden, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken: Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, wäre das CO2-Budget noch knapper bemessen. Andererseits könnte eine massive Rückholaktion von CO2 das Restbudget vergrößern und einige Jahre Zeit kaufen. Der Haken dabei ist aber, dass Technologien wie BECCS (Bio-energy with carbon capture and storage) noch nicht verfügbar sind und es unklar ist, inwieweit solche Technologien aufgrund ihrer Risiken auf breiter Ebene zum Einsatz kommen können.2
Wie man es dreht und wendet, bleibt das Restbudget der Menschheit also knapp. Dadurch ergibt sich die Frage, wie das Budget verteilt werden soll. Bevor derartige Fragen gestellt werden, ist es aber zuerst wichtig feststellen, wie groß die globale CO2-Ungleichheit ausfällt. Nur mit diesem Wissen kann man informiert Maßnahmen ergreifen, durch die die Emissionsverteilung gerechter wird.
Im Folgenden betrachte ich deswegen auf globaler Ebene, in welchem Ausmaß der CO2-Ausstoß vom Einkommen abhängt. Dies geschieht aus dem einfachen Grund, dass für das Einkommen entsprechende Untersuchungen vorliegen. Natürlich ist es auch wichtig, wie CO2-Emissionen etwa mit Ethnizität, dem Vermögen oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse zusammenhängen. Dennoch ist das Einkommen ein gut international vergleichbarer Indikator, durch den ein bedeutender Teil der globalen CO2-Ungleichheit sichtbar wird. Nach dieser Sichtbarmachung betrachte ich, wie sich die CO2-Ungleichheit auf den Lebensstandard unterschiedlicher Einkommensklassen auswirkt. Den Abschluss bilden Überlegungen, welche Maßnahmen sinnvoll wären, um das Restbudget gerecht zu verteilen.
In einem Satz: Wie hoch fällt die globale Klimaungleichheit aus?
Das reichste Zehntel der Weltbevölkerung verursacht je nach Schätzung zwischen 34 und 45% der gesamten Treibhausgasemissionen, während die ärmere Hälfte der Menschheit nur zwischen 13 und 15% aller Treibhausgase emittiert.
Die ungleiche Verursachung des Klimawandels
Es gibt einige wissenschaftliche Studien, die sich mit Einkommens- und den sich daraus ergebenden CO2-Ungleichheiten entweder zwischen unterschiedlich reichen Ländern als Ganzes oder innerhalb einzelner Länder auseinandersetzen. Allerdings existieren nur wenige Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen globaler Einkommensungleichheit und Treibhausgasemissionen erforschen: ein Umstand, der wohl auch der Datenlage geschuldet ist.
Die erste ambitioniertere Studie, die die globale Einkommensungleichheit in den Blick nahm, führten die beiden Wirtschaftswissenschaftler Lucas Chancel und Thomas Piketty durch.3 Sie kombinierten Daten über die weltweite Einkommensverteilung mit einer Schätzung der Treibhausgasemissionen, die die verschiedenen Einkommensgruppen verursachen. Das Einkommensmaß ist die Kaufkraftparität in US-Dollar. Durch dieses Maß kann man die Einkommen zwischen unterschiedlichen Ländern vergleichen.
Chancel und Piketty beziehen neben CO2 auch die anderen Treibhausgase wie CH4 (Methan) oder N2O (Lachgas) mit ein. Die anderen Gase werden durch einen Umrechnungsfaktor in eine CO2-äquivalente Menge, die das Erwärmungspotential angibt, umgerechnet. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass neben CO2 – das hauptsächlich für den Klimawandel verantwortlich ist und am längsten in der Atmosphäre verbleibt – auch die anderen Treibhausgase berücksichtigt werden. Ein Nachteil ist, dass eine Vermischung zwischen dem lang wirkenden CO2 mit kurzlebigeren Treibhausgasen stattfindet.
Die Studie verfolgt eine konsumbasierte Attribution von Emissionen: Sie rechnet die Emissionen der hergestellten Güter und Dienstleistungen den Personen und Haushalten zu, die sie kaufen und nutzen. Dabei kann man zwischen direkten und den wichtigeren indirekten Emissionen unterscheiden: Unter direkte Emissionen fallen fossile Brennstoffe, die Menschen im Wesentlichen für ihre Autos und das Heizen ihrer Wohnung direkt kaufen.
Schwieriger zuzuordnen sind die indirekten Emissionen, die in konsumierten Gütern und Dienstleistungen stecken. Zum Beispiel verursacht ein Auto nicht nur direkte Emissionen durch das Verbrennen von Benzin, sondern es fallen vorgelagerte indirekte Emissionen für die Benzinherstellung an. Auch die Herstellung eines Autos führt zur Emission von Treibhausgasen.
Um diese indirekten Emissionen zu berücksichtigen, verwenden Chancel und Piketty ein multiregionales Input-Output-Modell, eine Methode, die auf den Ökonomen Wassily Leontief zurückgeht. Ihre Studie nutzt die Daten des Global Trade Analysis Project (GTAP), das die globalen Geldflüsse zwischen 57 verschiedener Wirtschaftssektoren und zwischen den allermeisten Staaten der Welt darstellt – ein vereinfachtes Modell der Weltwirtschaft. Zugleich erhält jeder Wirtschaftssektor für jedes Land einen Emissionsfaktor. Er drückt aus, wieviel Treibhausgasemissionen im entsprechenden Sektor eines Landes nötig sind, um Produkte mit einem bestimmten Geldwert zu produzieren.
Dadurch erfasst die Input-Output-Analyse auch die vorgelagerten Emissionen aus anderen Ländern und Sektoren, die in einem Gut oder einer Dienstleistung enthalten sind. Zum Beispiel umfasst ein CO2-intensiver GTAP-Sektor die Gewinnung und das Gießen von Stahl und Eisen. Nun wird es kaum Personen und Privathaushalte geben, die Stahl direkt von Gießereien beziehen. In aller Regel werden Menschen Produkte unterschiedlichster Art kaufen, die Stahl als einen Bestandteil in weiterverarbeiteter Form enthalten.
Im Falle des Autos findet sich Stahl fast immer in der Karosserie. Die Input-Output-Analyse erlaubt es Chancel und Piketty, die Emissionen des verwendeten Stahls dem Sektor zuzuschreiben, der Autos und andere motorisierte Fahrzeuge umfasst. Wenn nun beispielsweise ein Auto in Mexiko mit Stahl aus den USA produziert wird, aber in Deutschland gekauft wird, werden die mit der Herstellung verbundenen Emissionen den deutschen Käufer*innen zugeschrieben.
Wichtig dabei ist, dass keine Lebenszyklusanalyse für Güter und Dienstleistungen vorgenommen wird. Eine Lebenszyklusanalyse untersucht zum Beispiel detailliert, welche Emissionen die Herstellung und der Betrieb eines bestimmten Autotyps verursachen. Diese Methode auf die gesamte Weltwirtschaft zu erweitern, wäre kompliziert und unter anderem mit dem Risiko behaftet, Emissionen doppelt zu zählen. Die Input-Output-Analyse enthält nur die Geldströme und die damit verbundenen Emissionsfaktoren zwischen Sektoren und Ländern.
Die Input-Output-Analyse beachtet allerdings nicht die ungleiche Verteilung von Einkommen und Treibhausgasemissionen innerhalb eines Landes. Um dies zu berücksichtigen, nehmen Chancel und Piketty eine Elastizität an, die innerhalb aller Länder den gleichen Wert annimmt. Die Elastizität gibt an, wie stark sich die Emissionen bei steigendem Einkommen verändern: Eine Elastizität von 0,5 würde bedeuten, dass eine Person mit einem jährlichen Einkommen von 20.000 Euro 50 Prozent mehr Emissionen verursacht als eine Person, bei der es nur 10.000 Euro beträgt. Wenn die Elastizität bei 2 läge, würde die Person mit doppelt so hohem Einkommen viermal so viele Emissionen verursachen.
Chancel und Piketty beziehen sich bei der Wahl ihrer Elastizitäten auf die bisherigen Studien, die diese Elastizität innerhalb von Ländern ermittelten4: Bei diesen Studien liegen die Elastizitätswerte zwischen 0,6 und 1; die meisten Werte zwischen 0,8 und 1. Aufgrund dieser Unsicherheit rechnen Chancel und Piketty ihre Modelle mit unterschiedlichen Elastizitäten (0,7; 0,9; 1,1). Dabei ist beiden Autoren klar, dass die Annahme eines gleichen Elastizitätswerts innerhalb aller Länder unrealistisch ist und zu Verzerrungen führt. Darüber hinaus wurden die meisten der landesspezifischen Studien in entwickelten Ländern durchgeführt, was weitere Verzerrungen nach sich ziehen kann.
Zu den Resultaten: Bei einer Annahme einer intrastaatlichen Elastizität von 0,9 schätzen Chancel und Piketty, dass die reichsten 10% der Erdenbürger*innen rund 45% der Treibhausgasemissionen verursachen, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur 13% verursacht. Bei einer geringeren Elastizität von 0,7 produzieren die reichsten 10% 40% und die ärmsten 50% 15% der Emissionen.
Damit weisen die Ergebnisse darauf hin, dass sich die globalen Einkommensungleichheiten stark in den Treibhausgas-Fußabdrücken niederschlagen. Wie oben schon erläutert, ist allerdings die Annahme einer in allen Ländern gleichen Elastizität problematisch. Schöner wäre es, wenn man die Ergebnisse der landesspezifischen Input-Output-Analyse mit Daten verknüpfen könnte, die aufschlüsseln, was die Angehörigen einer bestimmten Einkommensgruppe in einem Land typischerweise konsumieren.
Genau dieser Aufgabe nahm sich eine Forscher*innengruppe um Klaus Hubacek an. Ihre Studien verwenden Konsumdatenbanken der Weltbank, der USA und der europäischen Statistikbehörde, die nach Einkommensgruppen auf Länderebene auflösen. Anders als Chancel und Piketty nutzt die Forschungsarbeit für ihre landesspezifische Input-Output-Analyse nicht GTAP, sondern Eora: Die Eora-Datenbank ist GTAP in ihrer Struktur ähnlich; enthält aber nur 26 statt 57 Wirtschaftssektoren.
Hubacek und Kolleg*innen kombinieren nun die Input-Output-Analyse, die die konsumbasierten Emissionen einzelner Länder offenbart, mit der einkommensabhängigen Verteilung dieses Konsums innerhalb eines Landes. Dadurch können sie auf die grobe Abschätzung einer intrastaatlichen Elastizität verzichten.
In zwei Veröffentlichungen stellten Hubacek und Kolleg*innen ihre Ergebnisse vor. Abbildung 1 vergleicht sie mit den Resultaten von Chancel und Piketty. Die erste5 schätzte, dass die reichsten 10% der Weltbevölkerung 34% der Treibhausgasemissionen verursachen. Dagegen verursachen die ärmsten 50% nur 15% dieser Emissionen. Die zweite6 bezog neben den direkten und indirekten Emissionen der Haushalte zudem die Nutzung öffentlicher Infrastrukturen ein. Dadurch steigt der Emissionsanteil der reichsten 10% etwas auf 36%.
Erhellend an dieser zweiten Studie ist auch ein Blick auf die absoluten Emissionen der Einkommensgruppen, die Abbildung 2 zeigt: Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung umfasste zum Zeitpunkt der Datenerhebung Menschen mit Einkommen von unter 2,97 US-Dollar Kaufkraftparität pro Tag. Die beiden zugehörigen Einkommenskategorien machen deutlich, dass die ärmere Hälfte nur etwa 2 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr und Person emittiert. Die reichsten zehn Prozent haben dagegen ein Einkommen von über 23,03 US-Dollar zur Verfügung und emittieren im Schnitt ganze 26,3 Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr.
Damit fällt im Vergleich zu Chancel und Piketty die Treibhausgasungleichheit etwas geringer aus. Jedoch bleibt sie hoch: So schätzen die Forscher*innen um Hubacek, dass das reichste Viertel der Menschheit ungefähr zwei Drittel der globalen Emissionen verursacht. Es ist aber schwer zu beurteilen, welche der beiden Forschungsprojekte die Wirklichkeit am besten widerspiegelt. Chancel und Piketty verwenden zum Beispiel bewusst GTAP statt Eora, weil Eora einige unrealistische Daten enthält. Dagegen nutzen Hubacek und Kolleg*innen Eora; jedoch erfassen sie die Emissionsverteilung innerhalb eines Landes besser.
In der Gesamtbetrachtung zeigt sich aber schon, dass die Erzählung vom menschengemachten Klimawandel zwar stimmt, aber etwas Wichtiges unterschlägt: Viele ärmere Menschen tragen kaum zum Klimawandel bei, während die reicheren häufig einen sehr großen CO2-Fußabdruck aufweisen.
Eine Wirtschaft des Mangels, eine des Kohlenstoffs
In ihrem zweiten Artikel stellten Hubacek und Kolleg*innen fest, dass ärmere Menschen einen großen Teil ihres Einkommens für Lebensnotwendiges wie Nahrung oder Unterkunft ausgeben. Umso höher das Einkommen dagegen ausfällt, desto größer fällt der Anteil aus, der für Güter wie Reisen oder motorisierten Individualverkehr ausgegeben wird.
Dieses Phänomen haben Forscher*innen um Yannick Oswald genauer untersucht: Sie ermittelten, wie hoch die Elastizitäten bei unterschiedlichen energieintensiven Güter ausfallen.7 Ihre Studie verwendet eine Methode, die ähnlich der von Hubacek und Kolleg*innen ist. Allerdings dient als Datengrundlage – wie bei Chancel und Piketty – GTAP. Zu beachten ist, dass die Studie Energie- und nicht Emissionsungleichheit behandelt. Zwischen diesen beiden Ungleichheiten besteht jedoch eine enge Beziehung, weil über vier Fünftel der globalen Primärenergie durch die Verbrennung fossiler Energien bereitgestellt wird.
Die Ergebnisse bestätigen, dass die Beziehung zwischen Energie und Einkommen vom konsumierten Gut abhängt: Bei Ernährung, Wärme und Elektrizität liegt die Elastizität unter 1, bei Gesundheit und Bildung ungefähr bei 1. Größer als 1 fällt die Elastizität im Freizeit- und Transportsektor aus: Reichere Menschen geben dafür einen größeren Anteil ihres Einkommens als ärmere aus.
In Zahlen bedeutet dies zum Beispiel, dass die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung 76% des gesamten Energiefußabdrucks bei Urlaubsreisen verursachen, wohingegen die ärmsten 10% hier völlig ausgeschlossen sind. Geringer fällt die Ungleichheit bei Wärme und Elektrizität aus: Während die reichsten 10% 32% der bereitgestellten Energie nutzen, liegt der Anteil der ärmsten 10% bei 2,5%.
Bisher gibt es meines Wissens keine Studie, die den globalen Konsum aufschlüsselt und statt Energie Treibhausgasemissionen misst. Allerdings ist vor Kurzem ein Artikel erschienen, der dies für die Europäische Union macht.8 Für die EU lassen sich die für Energie gefundenen Muster auch auf die Treibhausgasemissionen übertragen: Die mit dem Verkehr – und besonders mit dem Flugverkehr – verbundenen Emissionen wachsen mit steigendem Einkommen stärker als die Emissionen für Notwendigkeiten wie Ernährung und Wohnen. Dabei gilt die Einschränkung, dass die EU als ein wohlhabender Teil der Welt die globale Ungleichheit nicht vollständig abbildet.
Was bedeutet die CO2-Ungleichheit und die damit verbundenen Konsummuster für die Lebensverhältnisse nun konkret? Dazu muss man sich klar machen, dass im gegenwärtigen fossilen Wirtschaftssystem CO2-Emissionen (und gerade im Fall der Landwirtschaft auch die Emission anderer Treibhausgase) nötig sind, um Grundbedürfnisse wie gesunde Ernährung, Wohnen, Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit zu stillen. Die niedrigen CO2-Emissionen vieler armer Menschen sind deswegen kein Grund zum Feiern. Im Gegenteil: Unter den gegebenen Umständen sind sie zu niedrig.
Bei wie viel Prozent der Weltbevölkerung sind die CO2-Emissionen zu niedrig? Um die Grundbedürfnise eines Menschen zu erfüllen, ist eine bestimmte Menge an Energie notwendig: Oswald und Kollegen schätzen, dass 38% bis 77% der Weltbevölkerung einen Energiefußabdruck haben, der unter dieser Mindestmenge liegt. Durch die enge Kopplung von Energie und CO2 wären die CO2-Emissionen dieses Teils der Menschheit unter den gegenwärtigen Bedingungen deutlich höher, wenn sie die Energiemenge konsumieren würden, die gerade so für die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse ausreicht.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man das Einkommen betrachtet, das unbedingt notwendig ist, um seine Grundbedürfnisse zu stillen. Nach unterschiedlichen Schätzungen liegt dieses Minimaleinkommen bei mindestens 5 Dollar pro Person und Tag. Mehr als 60 Prozent der Weltbevölkerung verfügen aber über ein Einkommen, das darunter liegt.9 Dieser wirtschaftlich schlecht gestellte Teil der Menschheit ist auch der Teil, der nur geringe Mengen an CO2 ausstößt.
Auf der anderen Seite der Einkommensverteilung stehen die reichsten 10% der Weltbevölkerung. Dabei handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe, der über die Hälfte der Bürger*innen der westlichen Staaten angehören.10 Zu den reichsten 10% gehören damit auch die Einwohner*innen Deutschlands, die ein mittleres Einkommen oder eines, das etwas darunter liegt, haben. Es macht sicherlich keinen Sinn, diese Einkommensgruppen zum Verzicht aufzufordern, wenn viele von ihnen in Städten häufig kaum bezahlbare Wohnungen finden. Ebenso ist die ärmere Hälfte Deutschlands kaum in der Lage, Vermögen und Sicherheiten aufzubauen.
Wenn allerdings höhere Einkommen im oberen Zehntel der Welt betrachtet werden, steigen die Emissionen sprunghaft an: Die reichsten 5% emittieren ungefähr 2,4-mal so viel CO2 wie die untere Hälfte des oberen Zehntels (das 90.-95. Einkommensperzentil). Zum Vergleich: Gegenüber dem 85.-90. Einkommensperzentil fallen die Emissionen des 90.-95. Perzentils nur um ein Viertel höher aus. Dies ergab eine in Bezug auf die vorgestellten Input-Output-Analysen etwas gröber aufgelöste Untersuchung.11 Andere Forscher*innen schätzen, dass die reichsten 0,5% der Weltbevölkerung genauso viel CO2-Emissionen wie die ärmere Hälfte der Welt verursachen.12 Ein Großteil der Emissionen der obersten Einkommensperzentile lässt sich auf Status- und Luxuskonsum zurückführen.13
Was tun?
Alle bisherigen Studien haben ergeben, dass die CO2-Ungleichheit sehr stark vom Einkommen abhängt. Durch die sehr ungleiche globale Einkommensverteilung fallen auch die Emissionen zwischen den unterschiedlichen Einkommensklassen sehr ungleich aus.
Diese Emissionsverteilung weicht dadurch sehr stark von einer gerechten Verteilung ab, wie sie etwa die beiden Klimaforschern Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber vorschlagen: „Jede Erdenbürgerin und jeder Erdenbürger hat exakt den gleichen Anspruch auf die Belastung der Atmosphäre, die zu den wenigen ‚globalen Allmenden‘ zählt“.14
Dieses Prinzip – gleiche Emissionsrechte für alle – kollidiert offenkundig mit der Wirklichkeit. Die Emissionen sind ja nicht erst seit gestern so ungleich verteilt, sondern schon seit Jahrzehnten.15 Wenn man diese historischen Emissionen berücksichtigt, hätten sehr viele Personen mit hohem Einkommen ihren Teil am gesamten CO2-Budget schon aufgebraucht.
Für das knappe CO2-Restbudget ist es allerdings geboten, sich zumindest an diesem Gleichverteilungsprinzip zu orientieren, weil es einem Großteil der Weltbevölkerung am Allernötigsten fehlt. Um menschliche Grundbedürfnisse stillen und Armut bekämpfen zu können, muss deswegen ein beträchtlicher Anteil des CO2-Restbudgets für diese vorrangigen Aufgaben reserviert werden.16 Auch wenn zukünftig der erforderliche Teil des knappen Restbudgets für die Armutsbekämpfung vorgehalten wird – und dies ist ein sehr großes wenn –, würde sich aber nichts daran ändern, dass die hohen Einkommensklassen unter Berücksichtigung der historischen Emissionen ungleich mehr zum Klimawandel als die ärmeren beigetragen haben.
Die ungleiche und ungerechte Verteilung des Gesamtbudgets muss man also hingenommen werden, falls die Erwärmung deutlich unter 2 Grad gehalten werden soll. Diese Ungerechtigkeit könnte erstens durch zwischenstaatliche Kompensationen abgemildert werden, weil sich der größte Teil der globalen Ungleichheit durch Einkommensunterschiede zwischen Ländern erklären lässt.
Entwicklungsländer, die wegen ihres geringen Durchschnittseinkommen kaum zum Klimawandel beigetragen haben, können nicht den gleichen fossilen Entwicklungspfad wie die Industrieländer beschreiten. Ihr geringes Einkommensniveau führt außerdem dazu, dass sie über begrenzte Möglichkeiten verfügen, eine grüne Wirtschaft aufzubauen und sich an den Klimawandel anzupassen. Die Ungerechtigkeiten verschärfen sich noch, weil die meisten Entwicklungsländer in Regionen liegen, die überdurchschnittlich vom Klimawandel betroffen sind.
Aus diesen Gründen stehen die Industrieländer in der Pflicht, die Entwicklungsländer durch Klimafonds zu unterstützen. Diese Klimafonds müssten so umfangreich ausfallen, dass die ärmeren Länder einen nachhaltigen anstatt einen fossilen Entwicklungspfad verfolgen können. Es bleibt jedoch unabdingbar, die erforderliche Menge des Restbudgets für die Armutsbekämpfung und die Grundbedürfnisse vorzusehen, weil eine grüne Transformation nicht von heute auf morgen geschieht.
Die grüne Transformation wird auch für Industrieländer mit hohem Durchschnittseinkommen kein Leichtes werden, weil ihre Einwohner*innen momentan noch viel CO2 emittieren. Außerdem herrscht innerhalb dieser Länder – wie in anderen Ländern auch – eine große CO2-Ungleichheit: Wie im vorherigen Kapitel ausgeführt, verursachen die reichsten 5% der Weltbevölkerung sprunghaft mehr Emissionen als die darauffolgenden 5%. Dies bedeutet, dass die oberen Mittelschichten und Oberschichten in den reichen Ländern einen sehr großen Emissionsfußabdruck haben.
Um diesen beiden Problemen zu begegnen – hohe Emissionen und sehr ungleiche Verursachung der Emissionen –, lohnt ein Blick über den Atlantik: Mit dem Green New Deal haben progressive Demokrat*innen um Alexandria Ocasio-Cortez und Ed Markey den Vorschlag gemacht, die Klimafrage mit der sozialen Frage zu verbinden.17 Umfangreiche Maßnahmen zum Klimaschutz sollen dabei Hand in Hand mit ökonomischer Umverteilung, sozialer Absicherung und Vollbeschäftigung gehen.
Der Green New Deal liefe auf einen massiven Umbau der Wirtschaft hinaus, durch den die Treibhausgasneutralität so schnell erreicht werden soll, dass die Klimaerwärmung unter 2 Grad stoppen würde. Eine solche große Transformation kann, wenn sie Gerechtigkeitsaspekte unter den Tisch fallen lässt, soziale Verwerfungen produzieren. Deswegen plädieren die Vertreter*innen des Green New Deals für ein egalitäres sozio-ökonomisches Modell, das nach bleiernen Jahrzehnten des Neoliberalismus zumindestens das verbleibende Emissionsbudget gerechter verteilen würde: Öffentliche Versorgungssysteme und der Wohlfahrtsstaat sollen gestärkt und grün werden. Dies erleichtert außerdem die grüne Transformation, weil eine stärkere öffentliche Organisation etwa des Gesundheitssystems18 oder der Mobilität19 ökologischer ist.
Flankiert werden könnte der Green New Deal durch eine stetig steigende CO2-Steuer, die ein klares Marktsignal sendet. Eine gerechte Ausgestaltung wäre es, wenn die Steuereinnahmen wieder an die Bürger*innen als Klimadividende zurückfließen würde, die für jede*n gleich hoch ausfällt. Dadurch würde diejenigen profitieren, die weniger CO2 als der Durchschnitt verursachen, in der Regel also Personen mit geringerem Einkommen.
Die beiden hier vorgestellten Pfade – einerseits ein neues Entwicklungsmodell und Klimakompensationen für die ärmeren Länder und andererseits der Green New Deal für die Industrieländer – stellen eine gewaltiges Unterfangen dar und stehen ebenso gewaltigen Widerständen gegenüber. Falls allerdings die Klimaerwärmung nur halbherzig bekämpft wird, wird der Klimawandel die Welt vor noch gewaltigere Herausforderungen stellen.
Zusammen weisen beide Pfade nicht nur aus einer katastrophalen Klimazukunft heraus; sie weisen auch einen Weg in eine gerechtere und wohlhabendere Welt und enthalten populäre politische Maßnahmen: Es wäre doch schön, wenn Entwicklungsländer ein grünes, inklusives Wachstum erzeugen könnten, das die Armutsbekämpfung und die Grundbedürfnisse in den Vordergrund stellt. Auch die Maßnahmen des Green New Deal sind populär und mehrheitsfähig: Gerade der grüne Umbau und Ausbau des Wohlfahrtsstaates könnte berechtigte Ängste vor den anstehenden Veränderungen nehmen. Niemand sagt, dass die grüne Transformation leicht wird, aber für eine Transformation, die die Lasten gleichmäßig verteilt und eine bessere Zukunft schafft, lohnt es sich einzutreten.
Literatur
- Sachverständigenrat für Umweltfragen (2020). Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa. Umweltgutachten 2020. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.html
- Smith P, Davis SJ, Creutzig F, et al. (2016). Biophysical and economic limits to negative CO2 emissions. Nature Climate Change 6: 42-50.
- Chancel L, Piketty T (2015). Carbon and inequality: From Kyoto to Paris. Paris School of Economics Working Paper. https://www.parisschoolofeconomics.eu/en/news/carbon-and-inequality-from-kyoto-to-paris-chancel-piketty/
- Chakravarty S, Chikkatur A, De Coninck H, et al. (2009). Sharing global CO\textsubscript{2} emission reductions among one billion high emitters. PNAS 106 29: 11884-11888.
- Hubacek K, Baiocchi G, Feng K, et al. (2017). Global carbon inequality. Energy, Ecology and Environment 2: 361-369.
- Hubacek K, Baiocchi G, Feng K, Patwardhan E. (2017). Poverty eradication in a carbon constrained world. Nature Communications 8: 912.
- Oswald Y, Owen A, Steinberger JK (2020). Large inequality in international and intranational energy footprints between income groups and across consumption categories. Nature Energy 5: 231-239.
- Ivanova D, Wood R (2020). The unequal distribution of household carbon footprints in Europe and its link to sustainability. Global Sustainability 3: e18.
- Hickel J (2018). Die Tyrannei des Wachstums. Wie globale Ungleichheit die Welt spaltet und was dagegen zu tun ist. München: dtv, 70-75.
- Milanović B (2017). Die Degrowth-Illusion. Makronom. https://makronom.de/die-degrowth-illusion-24137
- Gore T (2020). Confronting carbon inequality. Putting climate justice at the heart of the COVID-19 recovery. Oxfam Media Briefing. https://www.oxfam.org/en/research/confronting-carbon-inequality
- Otto IM, Kim KM, Dubrovsky N, Lucht W (2019). Shift the focus from the super-poor to the super-rich. Nature Climate Change 9: 82-84.
- Ivanova D, Wood R (2020). The unequal distribution of household carbon footprints in Europe and its link to sustainability. Global Sustainability 3: e18.
- Rahmstorf S, Schellnhuber HJ (2018). Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie. München: C.H.Beck, 108.
- Gore T (2020). Confronting carbon inequality. Putting climate justice at the heart of the COVID-19 recovery. Oxfam Media Briefing. https://www.oxfam.org/en/research/confronting-carbon-inequality
- Lamb WF, Rao ND (2015). Human development in a climate-contrained world: What the past says about the future. Global Environmental Change 33: 14-22.
- H.Res.109 – Recognizing the duty of the Federal Government to create a Green New Deal. 116th US Congress. https://www.congress.gov/bill/116th-congress/house-resolution/109/text?q=%7B%22search%22%3A%5B%22hres109%22%2C%22hres109%22%5D%7D&r=2&s=3
- Watts N, Amann M, Arnell N, et al. (2019). The 2019 report of The Lancet Countdown on health and climate change: ensuring that the health of a child born today is not defined by a changing climate. The Lancet 394: 1836-1878.
- Mattioli G, Roberts C, Steinberger JK, Brown A (2020). The political economy of car dependence: A systems of provision approach. Energy Research & Social Science 66: 101486.