Fuchs 8 von George Saunders

Das dünne Buch Fuchs 8 von George Saunders ist Ghettopoesie und Gutenachtgeschichte, ist Parabel und literarisches Experiment. Schillerndes Ideenfeuerwerk und letztendlich ein einziges großes Fragezeichen. Einer Frage, die an den Leser gerichtet ist.


Fuchs 8 hat die Sprache der Menschen gelernt. Abends ist er aus dem Wald herausgeschlichen und hat am offenen Fenster eines Kinderzimmers gelauscht, wie die Eltern ihren Kindern Gutenachtgeschichten vorlesen. Er spricht sie nicht fehlerfrei, aber dennoch gut genug, um uns einen Brief schreiben zu können. Und verdammt noch mal ja, den Brief von Fuchs 8 sollten wir lesen und uns zu Herzen nehmen.

Das Idyll hat kleine Risse

Das Buch fängt leicht und lustig an. Wir begleiten Fuchs 8 durch seinen füchsischen Alltag im Wald und lernen seine Freunde kennen. Seine Ghettosprache ist außerordentlich gut übersetzt worden von Frank Heibert, der übrigens ein wahrhaftiges Sprachwunder ist. Zahlreiche Bücher hat er aus den unterschiedlichsten Sprachen ins Deutsche übersetzt. Vermutlich ein großes Glück für Fuchs 8.

Doch etwas ist faul in der Idylle im Wald von Fuchs 8. Die Menschen bauen eine Shopping Mall in die Stille der Natur: Das Fuchsblick Center. Nach einigem Überlegen – und weil er weiterhin an das Gute in den Menschen glaubt – wird Fuchs 8 zum Botschafter der Füchse und macht sich zusammen mit seinem besten Freund Fuchs 7 auf den Weg.

Der schwarze Tag von Fuchs 8

Was unterhaltsam und optimistisch beginnt, wird schnell zum Verhängnis. Zwar ahnen wir schon, dass der Ausflug der beiden Füchse in George Saunders‘ Erzählung kein gutes Ende nehmen kann. Zu düster sind die Vorboten schon, als die beiden ängstlich über den Parkplatz laufen, zu bekannt ist uns insgeheim unser eigenes Wesen. Doch trotzdem wollen wir noch auf das Gute hoffen, während die Menschen den beiden Füchsen in der Mall zu essen geben. Bis uns der trügerische Frieden zusammen mit unserer ganzen uferlosen Scheinheiligkeit um die Ohren geworfen wird, als zwei Bauarbeiter ihrer zerstörerischen Freude am Quälen freien Lauf lassen und Fuchs 7 ermorden.

Fuchs 8 gelingt die Flucht, doch er ist schwer enttäuscht von den Menschen. Er muss weiter fliehen, denn der Wald und damit sein Lebensraum wird von den Menschen zerstört. Er zieht durch das Land und durch Städte, doch nun ist der Mensch nicht mehr der freundliche Gutensachtgeschichtenerzähler, sondern er ist das, was er wirklich ist. Eine rücksichtlose Bestie, vor der man sich um jeden Preis in Acht nehmen muss.

Und doch gibt Fuchs 8 die Hoffnung nicht ganz auf. Wir begleiten ihn noch eine Weile und spüren den Konflikt, der in ihm tobt. Und genau das ist das Kunststück, das George Saunders gelingt. Indem wir Fuchs 8 begleiten, der doch eigentlich so gerne das Gute in den Menschen sehen würde, hat er doch ihre Sprache gelernt und zu Beginn nur ihre liebenswerten Seiten beobachten können, aber der Wirklichkeit ihres Verhaltens begegnete, indem wir ihn begleiten, spüren wir die ganze Vernichtungskraft unseres Wirkens.

Eine Frage der Perspektive?

George Saunders ist ein Mann mit einer abwechslungsreichen Biografie. Und ich hoffe, mit seiner Vergangenheit als Schlachthausarbeiter hat er in einer Zeit, in der er Fuchs 8 schrieb, endgültig abgeschlossen. Die biografischen Daten auf seiner Webseite lassen dies zumindest hoffen. Denn ich mag das Buch nicht als ein Bildnis dafür sehen, wie wir Menschen mit uns gegenseitig umgehen. Ich mag es als das verstehen, was es vordergründig auch ist: Eine Perspektive auf unser rücksichtsloses Verhalten gegenüber den Lebensformen, die wir nicht verstehen. Ein kleines Guckloch in die schwarze Höhle, in der das Böse in uns lauert.

Die beiden Bauarbeiter ermorden Fuchs 8s besten Freund aus dem einzigen Grund, sich eine kurze Freude zu machen. Diesen kurzen (Gaumen-)Freuden fallen täglich in Deutschland rund 2.000.000 Tiere zum Opfer (z.B. hier nachzulesen) und ich höre immer nur Ausreden, das wäre doch etwas ganz anderes. Echt jetzt? Schämt euch.

Und während Fuchs 8 seine letzten Zeilen an uns schreibt, ist mir das Lachen vergangen. Zwar hat mich das Buch wunderbar unterhalten, ich habe mich oft gefreut, doch jetzt weine ich. Übrig bleibt die eine Frage, die ich mir selbst oft stelle und sie noch nie zu beantworten vermochte. Warum zum Teufel fangen wir eigentlich nicht einfach an, nett zueinander und zu anderen Wesen zu sein?